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Der Generalverdacht

und seine Folgen für die pädagogische Arbeit von Erziehern in Kinderläden
Von Krischan Kahlert

In der öffentlichen Wahrnehmung, bei den Eltern, PädagogInnen und in der Fachpresse hat sich mittlerweile die Meinung durchgesetzt, dass Männer als Fachkräfte in Kitas wichtig sind. Von allen Seiten werden mehr Männer in Kitas gefordert. Gleichzeitig ist das Problembewusstsein für sexualisierte Gewalt, unter anderem durch die Berichterstattung einzelner Fälle in den Medien, stark angestiegen. Vor diesem Hintergrund ist es sehr verwunderlich, dass ein wichtiges Hindernis für Männer im Arbeitsfeld Kita in den Einrichtungen bisher weitgehend tabuisiert wird: der ‚Generalverdacht’.

Viele Männer, die Erzieher werden möchten oder schon Erzieher sind, kennen die Problematik aus eigener Erfahrung. So werden Erzieher oder männliche Praktikanten gebeten, die Kinder nicht zu wickeln oder nicht alleine mit den Kindern in einem Raum zu sein. In einigen Fällen sollen Erzieher die Kinder noch nicht einmal auf den Schoß nehmen, oft aufgrund von Bedenken der Eltern. Fast immer geht es den Eltern darum, Fälle von sexualisierter Gewalt in den Einrichtungen zu verhindern. Nach meinen Erfahrungen wird in diesem Zusammenhang aber selten offen in den Einrichtungen über die Bedenken
der Eltern und den generalisierten Verdacht als Grund für die Verhaltensanweisungen gesprochen.

Aber was versteht man überhaupt unter dem Begriff‚ Generalverdacht‘ in Verbindung mit männlichen Erziehern? Hintergrund für den ‚Generalverdacht‘ ist die Tatsache, dass es sexualisierte Gewalt an Kindern gibt und diese zum großen Teil von Männern ausgeübt wird. Von einzelnen Tätern wird der Verdacht auf alle Männer generalisiert. Dieser Verdacht ist eindeutig zu trennen von der Situation, in der ein Verdachtsfall vorliegt–es ist also ein Verdacht, der unabhängig von tatsächlich wahrgenommenen Situationen ‚in den Köpfen‘ existiert.

Der ‚Generalverdacht‘ bedient ein historisch gewachsenes Rollenbild vom Mann als ‚Täter‘, das mit Gewalt und Sexualität verbunden ist. Hinzu kommt, dass die Arbeit mit kleinen Kindern nicht mit diesen und anderen Männlichkeitsvorstellungen der Gesellschaft übereinstimmt. Deshalb wird vermutet, dass ein Mann, der sich das weiblich dominierte Arbeitsfeld Kita aussucht, dafür andere Gründe haben muss als das Interesse an der Arbeit mit Kindern. Entsprechend fokussiert sich die erhöhte Sensibilität für das Thema sexualisierte Gewalt ausschließlich auf Männer. In der praktischen Arbeit führt dies oft dazu, dass viele Männer vermeintlich verdächtige Situationen meiden. In dem Wissen um den ‚Generalverdacht‘ arbeiten sie nicht allein mit Kindern in einem Raum, wickeln die Kinder nicht und vermeiden körperlichen Kontakt.

Unter diesen Bedingungen besteht die Gefahr, dass sich auch das pädagogische Verhalten unter dem Gesichtspunkt des ‚Generalverdachtes‘, also der Befürchtung ‚verdächtig‘ zu sein, ändert. Eine pädagogische Arbeit ist ohne körperlichen Umgang mit Kindern jedoch nicht vorstellbar. Da die Kinder von Männern in der Kita immer wieder Körperlichkeit einfordern und diese auch brauchen, werden nicht nur die Erzieher, sondern auch die Kinder verunsichert. Die Erzieher sind in der Kita als Bezugspersonen für die Jungen und Mädchen
wichtig. Dabei besteht eine große Chance von Männern als Erzieher darin, dass sie außerhalb der immer noch gängigen Klischees den Kindern ein breites Spektrum an Verhalten vorleben können, indem sie mit den Kindern toben, aber diese auch trösten und mit ihnen kuscheln.

Was folgt nun daraus, wenn Erzieher im Elementarbereich unter ‚Generalverdacht‘ gestellt
werden und der ganze pädagogische Alltag davon überschattet ist? Meiner Meinung nach, muss ein Konzept zum Umgang mit dem Generalverdacht für die Einrichtungen einerseits die Bedenken der Eltern und ErzieherInnen ernst nehmen und andererseits generalisierte Zuschreibungen und Verdächtigungen gegenüber Männern in der Kita abbauen.

Dafür ist es wichtig, dass Träger und Team eine Haltung zum Thema ‚Generalverdacht‘ entwickeln. Die Angst vor sexuellen Übergriffen geht das gesamte Team etwas an und die Männer in der Einrichtung dürfen mit dem Verdacht gegen sie nicht allein gelassen werden. Die Einrichtungen sollten sich deshalb frühzeitig damit beschäftigen, was es bedeutet, dass ein Mann in ihrer Einrichtung arbeitet. Die wichtigste Vorrausetzung für eine erfolgreiche Prävention ist, dass das Thema „Generalverdacht“ enttabuisiert wird und ein offener Austausch darüber stattfindet.

Um den Eltern die nötige Sicherheit zu geben, muss sich die Einrichtung darüber hinaus fragen, welche Maßnahmen sie ergreifen kann, damit Missbrauch in ihrer Einrichtung verhindert wird. Wichtig wäre es, ein Schutzkonzept zu entwickeln, das sich nicht auf Männer fokussiert und das Bild vom Mann als potenziellem Täter festigt, sondern unter gleichstellungspolitischen Gesichtspunkten entwickelt und umgesetzt wird. Ziel dieses Konzeptes sollte es sein, Transparenz und Partizipation in der Einrichtung zu fördern und damit ein Klima zu gestalten, in dem Missbrauch und Gewalt keine Chance haben – anstatt ‚präventiv‘ Männer davon abzuhalten, in Situationen zu kommen, in denen sie theoretisch sexuelle Übergriffe tätigen könnten.

Erstmals erschienen im 4. Infobrief "Männer in Elterninitiativen und Kinderläden" des Projektstandorts Berlin, Dezember 2011